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Fahren Sie mich irgendwohin …


Jugendgerichtshelfer? Das hörte sich ja fast noch schlimmer als „Anzeige“ an, aber ein informeller Anruf, einfach mal nachhören kann ja nicht schadhaft sein. Also greifen wir am Ende doch zum Telefon.  

Fahren Sie mich irgendwohin …

Am Anfang war die Flasche und die wurde geworfen. Von einer anderen Jugendlichen nach unserer Tochter. Passiert war zum Glück nichts weiter, aber die Flasche war aus Glas und Wut und Empörung schlugen hohe Wellen. Wie geht man mit so etwas um, wenn ein harmloser Streit eskaliert. Geht man, weil wie gesagt nichts passiert ist, einfach über so einen Vorfall hinweg oder zeigt man den „Täter“ an, um ihm einen Denkzettel zu verpassen? Ratlosigkeit machte sich breit, das eine erschien zu wenig, das andere maßlos.

Am Ende bekamen wir den Tipp, uns doch an Michael Hönnighausen vom Jugendamt der Stadt Pulheim zu wenden, der sei nämlich Jugendgerichtshelfer und wüsste sicher Rat. Jugendgerichtshelfer? Das hörte sich ja fast noch schlimmer als „Anzeige“ an, aber ein informeller Anruf, einfach mal nachhören kann ja nicht schadhaft sein. Also greifen wir am Ende doch zum Telefon.

„Schön, dass sie mich gefunden“, freut sich Hönnighausen am Telefon und versichert, dass es bestimmt eine Lösung „dazwischen“ geben könnte und verabreden wir uns mit ihm zum Gespräch.

Rausgehen „ohne Reste“

Also marschieren wir zunächst in geschlossener Formation ins Jugendamt. Wir fragen uns, wer oder was uns hier wohl erwarten wird. Der „Berufs-Jugendlichenversteher“, der für alles eine Entschuldigung und Erklärung hat oder eher der mit der harten Hand, der schnell und unbarmherzig durchgreift? Schon der Blick auf Hönnighausen sagt uns: Alles ganz anders. Wie er uns da begrüßt, lässig in Jeans und Pulli, groß, durchtrainiert und die Haare raspelkurz, merken wir schnell, das ist keiner, der sie am liebsten alle „wegsperren“ würde, aber auch kein Softie, der an der nächsten Straßenecke Taschentücher verteilen würde.

Er lässt sich in aller Ruhe erzählen was passiert ist, fragt zwischendurch kurz nach und nickt. Am Ende fragt er „Und was stellst Du Dir vor?“ „Dass sie sich entschuldigt und zwar richtig und ehrlich“, lautet die Antwort. Hönnighausen lächelt: „Wenn ich jetzt mein Deutschlehrer wäre, würde ich sagen, dass Du nicht aufgepasst hast. Sie kann sich nicht entschuldigen. Das kannst nämlich nur du, die Schuld von ihr nehmen. Aber sie könnte dich um Verzeihung bitten.“

„Wir haben uns angewöhnt“, fährt er dann fort, „viel zu sehr auf die Täter zu schauen und zu wenig auf die Opfer. Am Ende stehen wir da mit einem Berg von Erklärungen und Entschuldigungen, warum wer was gemacht hat, aber das führt nicht weiter.“ Er geht einen anderen Ansatz und bringt – zumindest in Bagatellfällen wie diesem – Opfer und Täter zunächst an einen Tisch.

Er hält es für viel wirkungsvoller, wenn sich der Täter eins zu eins mit der Erlebnis- und Gefühlswelt seines Opfers beschäftigen muss, statt losgelöst von der eigentlichen Tat eine Strafe ableisten zu müssen. „Manchmal macht es auch Sinn“, erzählt er uns, „eine solche Stresssituation gemeinsam noch einmal durchzuspielen und zu überlegen wie sich beide Parteien anders hätten verhalten können.“

Am Ende möchte er, dass alle „ohne Reste“ wieder in ihren Alltag zurückkehren können. „Wenn mir das gelingt und Täter und Opfer zu dem Punkt „davor“ zurückkehren können, dann habe ich einen guten Job gemacht“, meint er und lächelt.

Harte Jungs im Bootcamp

Die Welt wäre eine bessere, würde sich Hönnighausens Tätigkeit nur auf die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen beschränken können, aber leider ist sie eben eine andere. Kommt’s richtig hart, ist auch schon mal Arrest oder Gefängnis als Strafmaßnahme angesagt. „Ich bin“, sagt er, „aus einer Zeit, wo es noch ein klares Wertesystem gab und das will und werde ich nicht aufgeben. Wer Mist macht, muss mit Sanktionen rechnen, anders geht es nicht.“ Nur ob eine „reine“ Haftstrafe immer das richtige Mittel ist, sei dahingestellt. „Oft lernen die Jugendlichen, zumeist junge Männer, da nichts, was ihnen helfen könnte, sich auf Dauer anders zu verhalten.“ Eine mögliche Alternative zum Jugendknast ist ein Bootcamp. Dann fährt Hönnighausen zusammen mit einem Kollegen und einer Gruppe jugendlicher Straftäter schon mal für ein paar Wochenenden in die Eifel. „Erholungsurlaub ist das nicht“, meint er als unsere zweifelnden Gesichter sieht. Die Regeln sind klar und eng gefasst. Dazu gehört auch das gemeinsame Kochen, Tischdecken inklusive Deko und Essen. Hält sich nur einer aus der Gruppe nicht an die Regeln, fällt die nächste Mahlzeit erst einmal aus und es gibt Sport für alle bis zum Umfallen. „Es ist schon bemerkenswert“, meint er, „man merkt, dass sie einen fast hassen, weil man hart durchgreift und sie bis zur Erschöpfung durch den Wald hetzt, aber gleichzeitig bewundern sie einen, weil man konsequent seinen Stiefel durchzieht.“ Dazu gehört eben auch, dass er und sein Kollege mit von der Partie sind und auch das macht anscheinend Eindruck – und zwar bleibenden, denn stolz kann er seine interne Statistik präsentieren: „Über die Jahre, in denen ich jetzt hier in Pulheim arbeite sind rund 90% der jungen Leute nicht wieder straffällig geworden, haben Arbeit und vielen Fällen mittlerweile sogar eigene Familie.“

Ohne Eltern geht es nicht

„Als ich jung war“, erinnert er sich, „dachte ich, ich könnte die Welt verändern, in dem ich mich ganz auf die Jugendlichen konzentriere, aber mittlerweile …“, er zuckt die Achseln, „ohne die Eltern läuft gar nichts. Manchmal glaube ich schon fast, dass es viel wichtiger wäre mit Eltern zu arbeiten, ihnen wieder mehr Selbstvertrauen zu geben und ihnen beizubringen, dass Konsequenz und die ein und andere Strafe einfach sein muss.“

Eltern können eigentlich nichts falsch machen

Wir fragen ihn, warum Erziehung heutzutage anscheinend so viel schwieriger ist, als zu unserer Zeit. Haben Eltern weniger Selbstvertrauen in Ihre Fähigkeiten als früher? Er überlegt eine Weile: „Ich glaube, es kommen eine Menge Faktoren zusammen. Unsere Eltern haben in der Regel keine Erziehungsratgeber gelesen, sondern sich einfach auf die Erfahrungen aus ihrer eigenen Kindheit gestützt. Und ja, vielleicht war die Welt früher tatsächlich noch ein bisschen heiler oder fester gefügt. Heutzutage haben Eltern oft viel zu viel mit sich selbst zu tun, mit ihrer Arbeit, mit Trennung und Scheidung, da bleibt zu wenig, um sich wirklich intensiv mit ihren Zöglingen zu beschäftigen.“ Wir nicken, als Eltern kennen wir das Dilemma in dem man augenscheinlich steckt, ja aus eigener Erfahrung, aber etwas Tröstliches kann Hönnighausen auch uns mit auf den Weg geben: „Eltern, die sich mit ehrlichem Herzen und Liebe um ihre Kinder kümmern“, meint er, „können eigentlich nichts falsch machen.“

„Fahren Sie mich irgendwohin …“

Dennoch, auch wenn Eltern einen noch so guten „Job“ machen, eines können sie nicht, nämlich ihre Kinder von den Gefahren und Versuchungen, die „da draußen“ lauern, dauerhaft fernhalten. „Unsere Arbeit“, erläutert uns der Sozialpädagoge, besteht aus verschiedenen Säulen. Zum einen versuchen wir natürlich präventiv tätig zu werden. Wir gehen zum Bespiel in die Schulen und bieten Trainings zur Gewaltprävention an, aber genauso gut fahre ich auch in den Jugendknast, um mich dort vor Ort weiter um „meine“ Jugendlichen zu kümmern, mit ihnen Perspektiven und Lösungsansätze zu erarbeiten und sie zurück in ein normales Leben zu begleiten.“ Während wir noch staunen wie viel verschiedene Facetten sich hinter dem Begriff „Jugendgerichtshilfe“ verbergen, lächelt er und meint: „Wenn ich hin und wieder in ein Taxi steige und werde vom Fahrer nach meinem Ziel gefragt, ach wissen, manchmal würd ich am liebsten sagen: Fahren sie mich irgendwohin, ich werde eigentlich überall gebraucht …“

Danach

Wir haben nicht gefragt, wie das Gespräch von Tochter und „Täter“ (das ist bloß, weil sich das jetzt gut anhört) mit Michael Hönnighausen gelaufen ist, das ist, denken wir, Privatsache zwischen den Dreien, was uns aber wirklich freut, ist folgender Satz: „Ich bin froh, dass wir das so haben klären können, denn jetzt steht nichts mehr zwischen uns und wir können wieder Freundinnen sein.“

Fotos: DWW



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