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Es gibt ein Gewinnspiel auf dieser Seite, das ich erschnüffelt habe. Es gibt sogar etwas zu gewinnen und ich meine keine Knochen!

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Gefunden haben wir das „leichte“ Glück in der Stadtbücherei in Frechen. Die hat nämlich von der Gold Krämer Stiftung gleich eine ganze Kiste voll mit Büchern in leichter Sprache geschenkt bekommen. Vom Kochbuch, über den Roman bis zur Biographie gibt es e  

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Ich habe unheimlich Glück, denn ich komme aus einer lesenden, um genau zu sein, aus einer vorlesenden Familie. Egal ob im Wartezimmer, beim Friseur, in der Straßenbahn oder im Zug, im Auto auf der Fahrt in den Urlaub, am Strand oder in den Bergen… immer haben uns entweder meine Mutter oder mein Vater vorgelesen. Lange-Weile kam bei uns nicht vor.

Abenteuer frei Haus

Ich habe den Weihnachtsengeln bei Ihren Back- und Bastelarbeiten über die Schulter geschaut und dem Osterhasen beim Bemalen der Eier. Gemeinsam mit den „Fünf Freunden“ habe ich die gefährlichsten Kriminalfälle gelöst, bin mit Alice durch das Wunderland gewandert und mit Kapitän Hornblower über die Weltmeere gesegelt. Seite an Seite mit Winnetou bin ich durch die Prärie geritten und habe mit den Helden aus „meinen“ Büchern geliebt und gelitten. Und das alles wohlbeschützt in den heimischen vier Wänden, im Garten oder auf der Strandmatte. Ob es draußen geregnet oder gestürmt hat, mir war das egal – ich habe Hunger und Durst, Kälte und Dunkelheit erlebt, ohne selbst hungern oder frieren zu müssen.

„Wollen“ statt „müssen“

Entsprechend wollte ich lesen lernen. Ich wollte unabhängig von Mutter, Vater oder den großen Geschwistern diese wunderbaren Welten erkunden. Lesen lernen war kein Zwang, sondern ein wunderbarer Türöffner in eine Welt voller Geschichten und Abenteuer. Und ich glaube, genau das ist der springende Punkt: Wir tun (oder lassen) Dinge in erster Linie nicht, weil wir einen tieferen Sinn sehen, sondern eben weil sie uns Spaß machen. Wer will schon Lesen lernen, nur um die „Post vom Amt“ am Ende zu verstehen oder die Gebrauchsanweisung für die neue Mikrowelle?

Hüten wir uns also davor, Menschen als „dumm“ abzustempeln, nur weil ihnen die wesentliche Erfahrung, dass Lesen Spaß macht, fehlt und sie vielleicht gerade deshalb (bisher) keinen Zugang zum geschriebenen Wort gefunden haben.

Alles bleibt ein Geheimnis

Immer, wenn man etwas gelernt hat, wird es schwer sich das „davor“ vorzustellen. Wie war es als Sie noch nicht Fahrrad- oder Autofahren konnten? Geschweige denn Lesen und Schreiben?

Stellen Sie sich vor, Sie gehen einkaufen. Ganz normale Sachen eben: Eine Tüte Kochbeutelreis, Haarfarbe oder einen Sack Hundefutter. Aber wie koche ich den Reis und was steht in der Gebrauchsanleitung für die Haarfarbe? Wieviel Futter braucht mein Hund? Bei Ihrem Arzt ist die Tür zu, aber was steht auf dem Schild auf der Tür? Im Restaurant die Speisekarte – wer nicht lesen kann, kann nicht frei wählen. Schon der ganz normale Alltag muss für „funktionale Analphabeten“ eine ungeheure Anstrengung, ja einen grotesken Hürdenlauf bedeuten. Und zu den unzähligen Schwierigkeiten kommt meist noch ein Gefühl der absoluten Minderwertigkeit, des „sich dumm Fühlens“.

Ja, erschrecken Sie sich

Laut der Level one Studie der Uni Hamburg können etwa 2,3 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland zwar einzelne Wörter lesend verstehen oder schreiben, nicht jedoch ganze Sätze. Damit sind mehr als 4 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland von Analphabetismus betroffen. Und noch viel schlimmer: Rund 14 Prozent der erwerbsfähigen Deutschen können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, nicht jedoch zusammenhängende, auch kürzere Texte wie zum Beispiel eine schriftliche Arbeitsanweisung verstehen.

Vor allem sollten wir eins nicht vergessen: Hinter diesen Zahlen verbergen sich Menschen und ihr Leben. Menschen, die von unzähligen Aktionen, die unser Leben schöner, bunter und angenehmer machen, schlichtweg ausgeschlossen sind. Menschen, denen, völlig unabhängig von ihren Fähigkeiten, von vornherein unzählige Türen verschlossen bleiben.

Wenn’s das nur wäre

Das Perfide ist nun aber nicht, dass der Weg nach „oben“ angesichts mangelnder Lesefähigkeit so gut wie aussichtslos ist, sondern das es für Menschen, den diese Fähigkeit fehlt, meist schneller und steiler abwärts geht als für andere. „Die Frage“, so Peter Michael Soénius, Hauptgeschäftsführer der Gold Krämer Stiftung, „ist vielleicht nicht unbedingt, ob man James Joyce versteht oder alle Werke von Dostojewski gelesen hat. Es geht vielmehr darum, dass man auf ganz banaleDinge nicht angemessen reagieren kann. Das Schreiben vom Amt muss meist unbeantwortet bleiben, die Post vom Anwalt wird nicht verstanden. Wer nicht lesen kann, kann oft nicht angemessen reagieren und erleidet ungeachtet von Recht und Chance unzählige Nachteile, gerät viel zu schnell ins wirtschaftliche und gesellschaftliche Aus.“

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Wie gesagt, ob man frühzeitig mit Büchern in Berührung kommt und dann irgendwann selbst für sich die Welt über das geschriebene Wort für sich entdecken kann, hat anscheinend eine Menge mit Glück zu tun – nicht mit Verstand oder persönlichem Können und Einsatz.

Nur wird man die Freude am Lesen, das Glück in unendliche Geschichten, wahre und ausgedachte, einzutauchen, wohl kaum über Gebrauchsanleitungen, geschweige denn die Amtsdeutsch-Post entdecken. Dafür aber in Büchern, die in „leichte“ Sprache übersetzt wurden. Hier werden ganz bewusst kurze Sätze gebildet, Fremdworte und abstrakte und bildhafte Begriffe vermieden, um es dem Leseanfänger leichter zu machen. Und trotzdem bleibt der Charme des Originals erhalten, wie wir selber beim ersten Durchblättern und erfreuten Wiedersehen mit guten alten Lesebekannten wie dem „Labyrinth der Wörter“, „Der alte König in seinem Exil“ oder „Ziemlich beste Freunde“ feststellen konnten.

Gerade für Menschen, die erst als Erwachsene lernen Buchstaben zu Worten und Worte zu Sätzen und Sätze zu Geschichten zu verbinden, sind diese Bücher von eminenter Bedeutung, weil sie eben „Erwachsenen-Themen“ behandeln und trotzdem nicht überfordern.

Eine ganze Kiste Glück

Mittlerweile gibt es bereits eine ganze Reihe von Medien, vor allem eben Bücher, die in „leichte“ Sprache übersetzt worden sind und somit einen einfacheren Zugang zur Welt der Literatur möglich machen. Rund 70 davon, quer Beet vom Kochbuch über den Roman bis hin zur Biographie hat die Gold Krämer Stiftung ausgewählt und sie der Stadtbücherei Frechen gespendet, damit (zunächst) hier mehr Menschen am Glück zwischen zwei Buchdeckeln teilhaben können.

Kein Wunder also, dass sich Marion Lombardo, Leiterin der Stadtbücherei, wie „Bolle“ freut. „Zunächst“ sagt sie und strahlt über das ganze Gesicht, „werden wir diese Bücher im Eingangsbereich präsentieren, um möglichst viele unserer Besucher auf das erweiterte Angebot aufmerksam zu machen.“ Wie und wo die Neuen später ihren Platz finden werden, weiß sie noch genau. Aber eines ist gewiss, irgendwo werden sie einen besonderen Ehrenplatz bekommen, denn schon jetzt ist ihr der Zuwachs besonders lieb.

Ganz Frechen liest(?)

Jedes Jahr am dritten Freitag im November findet der bundesweite Vorlesetag statt. Klar, dass auch die Stadtbücherei sich an diesem Mega-Event beteiligen wird und alle seine Schätze vom Bilderbuch, über die neuen Lieblinge, die Bücher in einfacher Sprache, bis hin zum E-Reader präsentieren wird. Das ist schön, aber fraglich bleibt wie man die Menschen erreicht, die eben nicht lesen (können).

Vielleicht also wäre es eine Idee, wenn nicht nur die Bibliotheken und Organisatoren für Lesestoff sorgen, sondern wenn wir Leser uns einfach mal an öffentliche Orte begeben, vielleicht der Supermarkt um die Ecke, die Bushaltestelle oder das nächste Café und die Menschen um uns herum einladen, sich vorlesen zu lassen. Vielleicht nicht gerade James Joyce oder Marcel Proust sein, sondern eben tatsächlich ein Buch in „leichter“ Sprache – also Auswahl genug bietet die Stadtbücherei jetzt ja Dank der Initiative der Gold Krämer Stiftung.

Und vielleicht findet ja dann doch der ein und andere das große Glück im kleinen Buch …

Danke

Dass wir so viele Bilder unter dem Stichwort „Lesen“ finden würden, hätten wir nicht gedacht. Aber klar, wir haben uns echt gefreut, dass die Fotografen von pixelio anscheinend auch begeisterte Leser sind. Unsere kleine Auswahl umfasst: Paul-Georg Meister hat die junge Frau auf der Bank, den Jungen, der „streng geheim liest“ und das Mädchen mit der Einkaufstüte gesehen und fotografiert. Der Senior am Strand ist von Rainer Sturm und die Leserin auf der Wiese von Lupo. Den schlafenden Jungen verdanken wir Lisa Schwarz und den mit dem braunen Pulli Simone Peter. Die drei Kinder hat s. Hofschlaeger abgelichtet, während das Buch mit den Sandalen von www.hamburg-fotos-bilder.de stammt. Der Leser bei Kerzenschein stammt von Andreas Köckeritz und die Leseratte von Rolf Handke, die Speisekarte von E. Kopp und die Euros von Jorma Bork. In der Stadtbücherei: (v.l.) Liselotte Strack, Projektkoordinatorin bei der Gold-Kraemer-Stiftung, Marion Lombardo, Leiterin Stadtbücherei Frechen, Stephan Krämer, Fachbereichsleiter Stadt Frechen und Peter Michael Soénius, Hauptgeschäftsführer der Gold-Kraemer-Stiftung. Das ist übrigens von „uns“.

 

 



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