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(K)ein Märchen


„Märchen“, so findet Raeder, „sind universell. Manchmal entführen sie uns in ganz andere Welten und lassen uns unseren Alltag, unsere Sorgen und Nöte für einen Moment vergessen. Und natürlich zeigen sie uns, dass für Erfolg oder ihr Glück ...  

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(K)ein Märchen

Märchen und Mythen sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Ob in Indien, Afrika oder am Nordkap – überall auf der Welt erzählten sich Menschen Märchen und Geschichten, in denen sie oft einen uralten Erfahrungsschatz überlieferten. Einen wahren Boom erlebten die Märchen in Europa mit der der ersten Veröffentlichung der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm vor etwas mehr als 200 Jahren.

Und nach einem „Zwischentief“ Anfang der 70er Jahre, als sie als zu grausam und unzeitgemäß in Verruf geraten waren, erleben sie mittlerweile ein wahre Renaissance.

Erzähl doch mal

Ganz gleich, ob wir es selber in unserer Kindheit so erlebt haben oder nicht, wer würde bei Märchen nicht an die Großmutter mit dem dicken Märchenbuch denken? Zwar meint unsere Erinnerung es gut mit uns, aber in der Regel wurden Märchen weniger vorgelesen, denn erzählt. Das von uns so geliebte Märchenbuch diente eher als kleine Gedächtnisstütze. Wir wollen der Sache auf den Grund gehen und fragen bei Christiane Raeder, die im Pulheimer Walzwerk „Stroh zu Gold“ – Eine Institution (nicht nur) für Märchen und Gestalt, sondern eine umfassende Praxis für Weiterbildung und Beratung unterhält. Hier lehrt sie nicht nur die Interessierten die Kunst des Märchenerzählens, sondern führt sie auch in die tiefe Bedeutung und Deutung von Märchen ein.

Vorlesen oder doch besser erzählen?

„Natürlich müssen wir erst einmal die zentralen Bilder und Handlungsabfolgen im Kopf haben und uns in die Geschichte hineinfühlen“, erklärt uns die Märchenpädagogin und Erzählerin, deren Liebe zu Märchen stark von ihrem Großvater geprägt wurde, der ihr regelmäßig die Grimm’schen Märchen erzählte. „Aber viel eindrücklicher als das reine Ablesen aus einem Buch, ist es, wenn Märchen erzählt und eben nicht vorgelesen werden. Nur, wenn sich der Blick vom Text lösen kann entsteht ein enger Kontakt zwischen dem Erzähler und seinen Zuhörern.“

Gerade für Kinder ist das wichtig. Unsere Stimmlage, die Gesten, mit denen wir die Handlung begleiten und ein enger Blickkontakt gibt ihnen die Sicherheit, dass sie auch im aufregendsten Abenteuer nicht allein gelassen werden, sondern vom Erzähler begleitet und im Zweifelsfall auch geborgen werden.

Grausam und unzeitgemäß oder pädagogisch wertvoll?

Richtig, aus einem bestimmten Blickwinkel mögen uns Märchen oder besser gesagt, die handelnden Figuren ungeheuer grausam vorkommen: Böse Stiefmütter, die den „fremden“ Kindern nach dem Leben trachten, Eltern, die ihre Kinder im Wald aussetzen und wilde Tiere, die nichts als Fressen im Sinn haben – ganz gleich ob es sich nun um Rotkäppchen oder sieben niedliche Geisslein handelt. „Natürlich“, bestätigt uns Christiane Raeder, die vor einigen Jahren auch eine Ausbildung als Lebens- & Trauerbegleitung/Beratung absolviert hat, „fast immer beginnen Märchen mit einer problematischen Situation; Hindernisse müssen überwunden und Aufgaben gelöst werden. Aber gleichzeitig geben Sie uns auch Rat und Hilfe und zeigen sie uns, worauf es ankommt: Geh sorgsam mit Lebewesen um. Lass dich nicht von Oberflächlichkeiten blenden. Behalte deine Aufgabe und dein Ziel immer vor Augen. Habe Geduld, und wenn die Zeit gekommen ist, handle. Widme dich deiner Aufgabe, auch wenn sie mühsam ist. Habe Vertrauen. Auch wenn mitunter etwas aussichtslos erscheint, kommt Hilfe, vielleicht gerade von dort, von wo du es am wenigsten erwartest. Misserfolge und Rückschläge gehören zum Leben. Habe Mut, gehe ohne Furcht weiter.“

Nicht immer erschließt sich der Sinn und die Botschaft eines Märchens gleich auf den ersten Blick, um sie richtig deuten zu können, muss man mit ihrer Bild- und Symbolsprache vertraut sein.

Ein Märchen für die Liebe?

Schon beim täglichen Einkauf lässt es sich nicht mehr übersehen: Am 14. Februar ist Valentinstag – der Tag für die Liebe? Selbst Sushi verpackt in Herzchenform haben wir schon gesehen. Aber soll das alles gewesen sein? Ist das die wahre Liebe seinem Angetrauten oder seiner Liebsten Fertigfutter in Herzform zu servieren? Als wir der Märchenerzählerin davon erzählen, lacht sie: „Nein, nein. Da müssen Märchenhelden und –heldinnen schon ganz andere Aufgaben erfüllen und Prüfungen bestehen. Und sehen Sie: Märchen sind voll von Geschichten über die Liebe und taugen somit nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Und nicht immer geht es nur darum die große Liebe zu finden oder zu erobern, sondern auch darum über sich selbst hinauszuwachsen …“ Sie macht uns neugierig, aber es gibt ja noch so viel zu erzählen, dass wir uns wohl bis zur nächsten Veranstaltung im Café F. gedulden müssen.

Im Dialog bleiben

„Liebe“, erklärt sie uns, „muss gepflegt werden, wenn sie dauerhaft wachsen soll. Und dazu muss man miteinander im Gespräch bleiben. Nicht nur über die ganz normalen Alltagsprobleme, sondern eben auch zum Beispiel über Märchen und Geschichten.

Was aber, wollen wir von ihr wissen, ist, wenn ein Partner oder Elternteil im Laufe der Jahre verstummt? Uns selbst war das Schicksal ja bisher gnädig gestimmt, aber viele unserer Freunde und Bekannte verbringen mittlerweile quälend lange Stunden in Pflegeheimen, wo ihnen angesichts ihrer schweigend in Demenz versunkenen Angehörigen jede Minute zur Ewigkeit wird.

„Auch hier“, meint sie, „kann das Erzählen von Märchen durchaus helfen. Sie gehören zu unseren frühesten und prägendsten Kindheitserinnerungen und oft reagieren gerade Demenzpatienten sehr intensiv, wenn gerade diese Erinnerungen durch Erzählen angeregt werden.“

Doch nicht nur für Menschen, die an einer Demenzerkrankung leiden, können Märchen Kraft und Hilfe spenden.

„Märchen“, so findet Raeder, „sind universell. Manchmal entführen sie uns in ganz andere Welten und lassen uns unseren Alltag, unsere Sorgen und Nöte für einen Moment vergessen. Und natürlich zeigen sie uns, dass für Erfolg oder ihr Glück diverse Schwierigkeiten gemeistert werden müssen. Aber das Schönste“, sie lächelt, „in der Regel haben Märchen ein gutes Ende und das finde ich sehr tröstlich.“

Leicht gesagt und schwer getan?

Graben Sie doch einmal in Ihren Erinnerungen. Sicher fällt Ihnen ohne größere Schwierigkeiten der ein oder andere „Grimm-Klassiker“ ein: Ob nun der Froschkönig oder Dornröschen, Rotkäppchen oder Schneewittchen … Doch so leicht wie es sich zunächst anhören mag, ist es mit dem Erzählen nun eben nicht, wie wir feststellen als die Märchenerzählerin bitten, uns doch ein Märchen vorzutragen. Während sie spricht, auf und abgeht, sich die Handlung schon fast von ihrem Gesicht ablesen lässt und mit Gesten unterstrichen wird, merken wir, vom Vorlesen bis zum freien Erzählen ist es ein weiter Weg. „Es geht darum“, erklärt sie uns, „die Bilder, die ein Märchen vermittelt, zunächst als Handlungsstrang zu nutzen, damit eine stimmige Geschichte entsteht. Aber viel wichtiger als die wortgetreue Wiedergabe ist das, was man daraus macht. Welchen Gesichtsausdruck man verwendet, welche Gesten eingesetzt werden, wie sich die Stimme verändert. Und ja“, sie zögert einen Moment, „etwas zu erzählen zeigt natürlich auch viel über den Erzähler.“

Auch deshalb lernt man im Rahmen einer Ausbildung nicht nur das Potential der eigenen Stimme zu entwickeln, sondern auch seine Stärken zu erkennen und gezielt für seine Bühnenpräsenz nutzen. Ob man dann am nun Märchen erzählt, Vorträge oder Reden hält, moderiert oder unterrichtet – einmal erlernt, lassen sich diese Fähigkeiten vielfältig einsetzen.

Wir lassen uns verzaubern

Nun, eine Ausbildung als Märchenerzähler, das klingt spannend, aber da wir uns eher dem geschriebenen und nicht dem gesprochenen Wort verschrieben haben, wollen wir es zunächst beim Zuhören belassen und bitten um eine kleine Kostprobe. Sie überlegt einen Moment und spielt uns dann den Ball zurück in dem sie uns nach unserem Lieblingsmärchen fragt. „Froschkönig“ kommt spontan unsere Antwort und schon nach wenigen Augenblicken folgen wir in den dunklen Wald, hören die Blätter rauschen und das Wasser im Teich gluckern und den Frosch quaken …

Ein Klick genügt

Es ist ja richtig, die meisten Märchen beginnen mit „Es war einmal …“ und gehören somit eindeutig in die Vergangenheit. Aber ein bisschen Zauber verspricht ja manchmal sogar die digitale Welt, wenn nämlich ein Mausklick genügt und Stroh zu Gold gesponnen wird und sich die Märchenkiste öffnet.

Fotos: Froschkönig - Sassi; Turm - Bildaspekt; Tor - Günther Gumhold, alle bei pixelio. Alle weiteren Bilder Christiane Raeder.



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