Ein Denkmal für die Menschlichkeit
Ein Denkmal für die Menschlichkeit
Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, dass wir uns bei der Betrachtung der Vergangenheit nur allzu oft und allzu intensiv an Schreckliches, Trauriges und Schmerz erinnern. Wem kämen bei dem Gedanken an den Zweiten Weltkrieg nicht zuerst Millionen von Kriegstoten und die Terrorherrschaft der Nazis in den Sinn? Das ist richtig und darf nicht verleugnet werden. Aber würde man bei diesem Gedanken verharren, wie traurig und mutlos muss es einen stimmen, gäbe es nicht auch Zeichen von Menschlichkeit, die Hoffnung machen, dass der Mensch nicht immer nur ein Schlechter ist.
Viele erinnern sich noch an den Prälaten
Viele älteren Frechener Bürgern ist der Prälat Theodor Loevenich noch in Erinnerung. So auch Frechens Bürgermeister, Hans-Willi Meyer, der in seiner Jugend als Messdiener unter Loevenich „gedient“ hat. „Mit dem Pastor haben wir immer viel erlebt“, erzählt er, „in seinem VW Käfer hat er uns mit nach Köln genommen – ins Museum Schnüttgen zum Beispiel, da wär man doch sonst im Leben nicht hingekommen.“ Und auch andere Erinnerungen, wie das sogenannte Raspeln zwischen Gründonnerstag und Ostersonntag, wenn die Glocken nach Rom geflogen sind und nicht läuten. „Da gab’s dann immer ein paar Spenden für uns. Ein bisschen Geld und ein paar Eier“, er schmunzelt, „das Geld ist weg, aber die Eier“, er weist auf seinen Bauchumfang, „die sind geblieben“ und lacht. Doch auch Meier wusste bis dato nur wenig über Loevenichs Zeit vor seinem Amtsantritt in der Frechener Gemeinde.
Ein Wink der Hüchelner Madonna?
Den Stein des Anstoßes gabe die Hüchelner Madonna, eine Keramikarbeit, die seit fast 40 Jahren in der Kapelle des St.-Katharinen-Hospitals zu finden ist. „Mein Vater hatte das Duplikat einer solchen Platte in seine Hauswand einbauen lassen“, erinnert sich Hans Georg Schnieders, doch am Original ließ sich kein Hinweis entdecken, weder auf den Künstler, noch auf den Spender. Das ließ mir irgendwann keine Ruhe mehr und ich machte mich auf die Suche.“ Schon bald stieß er bei seinen ersten Nachforschungen auf Theodor Loevenich und schon bald fokussierten sich seine Nachforschungen auf den Prälaten, der von 1946 bis 1969 als Subsidiar an St. Audomar tätig war.
Bei der Sichtung der Unterlagen, Besuchen in den Archiven der Stadt und ausgiebigen Internetrecherchen stieß Schnieders immer wieder auf Zusammenhänge mit dem in Frankreich bis zum heutigen Tag stark verehrten Abbé Franz Stock und Loevenichs Tätigkeit als sogenannter Kriegspfarrer. „Die Sucharbeit wurde zu einem begeisternden Abenteuer. Ich durchwanderte ein erlebnisreiches Stück, ja fast wie auf einer Reise kam ich aus der Enge der Ortsgebundenheit heraus.“ schreibt Hans Georg Schnieders in seinem Buch über Theodor Loevenich, das nun, nach gut vierjähriger Recherchearbeit vom Stadtarchiv Frechen herausgegeben wurde.
„Und die im Dunkeln sieht man nicht“
Wir wollen uns an dieser Stelle nicht mit einer Interpretation dieses Brecht-Zitates aufhalten, sondern es auf unsere ganz eigene Weise deuten. Der Zweite Weltkrieg gehört ganz unzweifelhaft weit über die Grenzen Europas hinaus zu den dunkelsten Kapiteln der jüngeren Geschichte. Umso wichtiger erscheint es uns, über den verübten Gräueltaten nicht die zu vergessen, die in Zeiten der Entmenschlichung Mut, Anstand und Mitgefühl bewahren konnten. Nach Abschluss seiner Ausbildung zum Priester wurde Loevenich als zunächst Miltitärseelsorger im besetzten Frankreich eingesetzt, wo es zu seinen Aufgaben gehörte, gemeinsam mit Abbé Stock, ungezählte Gefangene auf ihrem letzten Weg zur Hinrichtung zu begleiten und ihnen und ihren Angehörigen seelischen Beistand zu leisten. Wer mag zu ermessen, welche Kraft es gekostet haben muss, diesen Verzweifelten beizustehen und in dunkelsten Zeiten Wege zum Licht aufzuzeigen? So schreibt Stock in seinem Seelsorgebericht aus dem vierten Quartal 1941: „ein unersetzlicher Helfer und eine feste Stütze in äusserster Not konnte man den zum Tode verurteilten sein. […] Briefe der Angehörigen der Gefangenen zeigen, welches Vertrauen in den Pfarrer gesetzt wird, bei der geistigen und seelischen Aufrichtung und Aufmunterung.“
Mit ihrer Arbeit und ihrem Einsatz und ihrer Anteilnahme haben Theodor Loevenich und Abbé Franz Stock somit schon zu Kriegszeiten einen ersten Grundstein für die sich an den Krieg anschließende Völkerverständigung zwischen Frankreich und Deutschland beigetragen wie Schnieders in seinem Vorwort zur nun vorliegenden Biografie darlegt.
Loevenichs Arbeit in Frankreich fand 1942 sein Ende, als er, wohl aufgrund „weil er Gefangenen zu viel half“, an die Ostfront versetzt wurde. Erst im Juni 1945 kehrte er nach Frechen zurück, wo er von 1946 bis 1969 als Religionslehrer an Kölner Berufsschulen und zugleich als Subsidiar an St. Audomar (1988) tätig war. Darüberhinaus betreute Theodor Loevenich bis 1977 die Dreifaltigkeitskapelle in Köln-Marsdorf, von 1950 bis 1958 die Notkirche in Frechen-Hücheln sowie von 1947 bis 1964 das St. Katharinen-Hospital.
Vier Jahre für die Menschlichkeit
Der so bescheiden wirkende Hans Georg Schnieders würde es wohl ablehnen, wollte man Parallelen zwischen ihm und dem Frechener Prälaten ziehen wollen. Dennoch sollte auch Schnieders eine ausreichende Würdigung und Anerkennung erfahren. Vier Jahre seines Lebens hat er damit verbracht, das Leben und Wirken Theodor Loevenichs erst einmal transparent und nachvollziehbar zu machen. Ihm ist es zu danken, dass er diesen Vertreter der Menschlichkeit aus dem Dunkeln befreit und für uns ans Licht gebracht hat. Gewiss ist nicht jeder von uns mit den Fähigkeiten des Prälaten zu Anteilnahme und Mitgefühl ausgestattet, aber allein die Tatsache, dass es solche Menschen gab (und hoffentlich immer geben wird) macht Mut und gibt Hoffnung.
Für Frechen und darüber hinaus
Natürlich macht es Sinn, dass zunächst die Stadt Frechen, deren Sohn Loevenich ist, das Buchprojekt über den Prälaten unterstützt hat. Dennoch wäre es schade, würde Hans Georg Schnieders Biographie nicht den Weg über die Stadtgrenzen Frechens hinausfinden. Denn das Buch „Wenn er gerufen wurde, war er da“ spiegelt nicht nur ein Teil der jüngeren Weltgeschichte, sondern ist Vorbild und Zeichen der Hoffnung.
„Wenn er gerufen wurde, war er da“
ist zum Preis von 9,95 Euro während der Öffnungszeiten des Stadtarchivs Frechen (Mi & Do 9.00 Uhr – 13.00 Uhr, Di & Mi 14.00 Uhr – 16.00 Uhr, Do 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr), Hauptstraße 110 – 112, 50226 Frechen und der Buchhandlung Brauns, Keimesstr. 22, Frechen erhältlich.
Unser Dank gilt Hans Georg Schnieders und dem Stadtarchiv Frechen für die freundliche Genehmigung, drei Porträts vom Cover zu entlehnen. Alle weiteren Bilder: DWW