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Zu Gast bei fremden Nachbarn


Rund 1,6 Millionen Menschen aus der Türkei leben in Deutschland, rund 14.000 von ihnen im Rhein-Erft-Kreis. Dennoch, was wissen wir eigentlich über unsere türkischen Nachbarn und wie viele Berührungspunkte haben wir? Leben wir schon zusammen oder ...  

Zu Gast bei fremden Nachbarn

Als 1961 die ersten türkischen Gastarbeiter aus Anatolien nach Deutschland kamen, hatte keiner, weder Türken noch Deutschen, daran gedacht, dass sie bleiben könnten. Mit dem Gedanken, einige Jahre im fremden Land zu bleiben, um dann wieder in die Heimat zurückzukehren, blieb man unter sich. Doch wie es im Leben so geht: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Viele von ihnen sind geblieben, ihre Enkelkinder gehen in der neuen Heimat in die Schule, studieren oder haben Unternehmen gegründet. Rund 1,6 Millionen Menschen aus der Türkei leben in Deutschland, rund 14.000 von ihnen im Rhein-Erft-Kreis. Dennoch, was wissen wir eigentlich über unsere türkischen Nachbarn und wie viele Berührungspunkte haben wir? Leben wir schon zusammen oder gehen wir am Ende doch noch getrennte Wege? Unsere fremden Nachbarn also?

Eine Einladung zum Fastenbrechen

Umso mehr haben wir uns gefreut, als die Einladung zum gemeinsam Fastenbrechen  des türkisch-deutschen Kulturvereins e.V. Brühl die Redaktion von Laetitia Vitae erreichte, denn wann hat man schon einmal Gelegenheit sich miteinander auszutauschen und kennenzulernen. In der Einladung werden wir gebeten, frühzeitig zu kommen, denn man wolle pünktlich um 10 Minuten nach neun das Fasten brechen. Zwar erscheint uns diese genaue Zeitangabe ungewöhnlich – und für deutsche Verhältnisse auch recht spät – aber natürlich wollen wir uns vorher auch noch ein wenig mit unterhalten und etwas mehr über muslimische Traditionen erfahren. „Ramadan, der Fastenmonat, ist der neunte Monat im islamischen Mondkalender.“ erklärt uns Arzu Hardal. „Während des Ramadan ist es gläubigen Muslimen nicht nur verboten in der Zeit von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang zu essen oder zu trinken. Fasten bedeutet für uns auch, dass wir nicht nur enthaltsam, sondern auch bewusster leben sollen. Dabei bezieht sich die Enthaltsamkeit aber auch auf Streit, Lügen und ähnliches.“ Mit ihrem hellen Haar und ihren strahlend blauen Augen könnte man sie auch für eine Nordeuropäerin halten, doch noch bevor wir weitere Fragen stellen können, werden wir gebeten schone einmal Platz zu nehmen, während sich Männer und Frauen in getrennten Räumen zum Gebet versammeln. „Dass wir in getrennten Räumen beten, liegt an unser Haltung während wir beten“, erklärt uns ihre Freundin Sebnem Idaciömeroglu, die freundlicherweise bei uns bleibt. Sie lächelt, „es wäre einfach, hm, unschicklich.“

Ramadan, auch der heiße Monat genannt, ist der neunte Monat im muslimischen Kalender. Da sich dieser an der Mondumlaufbahn orientiert, ist das muslimische Jahr in der Regel rund 10 bis 11 Tage kürzer als die westliche Zeitrechnung, die sich am Sonnenumlauf orientiert und der Fastenmonat Ramadan verschiebt sich entsprechend in jedem Jahr.

Während des Ramadan ist es gläubigen Muslimen verboten in der Zeit von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang zu essen und zu trinken. Auch Rauchen, Streit, üble Nachrede und ähnliches soll während des Fastenmonats unterbleiben.

Beim muslimischen Fasten steht das bewusste Erfahren der Religion, weniger der Verzicht auf Nahrung, im Vordergrund. Das abendliche Fastenbrechen wird im Kreis der Familie, oft auch mit Freunden als Festmahl zelebriert.

In der türkischen Tradition wird das abendliche Festmahl zumeist mit Datteln eröffnen. Dann folgt eine leichte, je nach Witterung auch kalte, Suppe wie zum Beispiel eine Linsensuppe. Sodann gibt es ein reichhaltiges Mahl mit Gemüse wie gefüllten Weinblättern oder gemischtem Salat, Fleisch, Reis und Fladenbrot. Abschluss bilden dann türkische Süßspeisen wie Baklava, einem Gebäck aus Blätter- bzw. Filoteig, der mit gehackten Walnüssen, Mandeln oder Pistazien gefüllt wird und solange es noch heiß ist, in Sirup aus eingekochtem Zuckerwasser eingelegt wird. Und natürlich darf auch ein türkischer Tee zum Abschluss nicht fehlen.

Seinen Abschluss findet der Fastenmonat Ramadan in diesem Jahr am 19. August. Im Anschluss daran wird das sogenannte Zuckerfest gefeiert. Nach den rituellen Gebeten in der Moschee wird ausgiebig gefeiert. Hier gibt es nicht nur, wie der Name bereits sagt, eine Reihe von süßen Speisen, sondern man beschenkt sich gegenseitig, ein im Islam ein sehr wichtiger Aspekt, der als ehrenwerte Tat angesehen wird.

Getrennt beten, gemeinsam essen

Nach dem Gebet füllen sich die Plätze an den langen Tischen und der erste Gang wird aufgetragen. Wir wundern uns, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer mit gefüllten Suppenschüsseln aus der Küche kommen und vor jeden Gast eine Schale stellen. Auf unsere fragenden Minen hin meinen die jungen Frauen leichthin, dass es doch in der Verantwortung der Frauen liege wie sie ihre Söhne erziehen. „Natürlich war das früher anders“, sagen sie, „aber war es in Deutschland früher nicht auch so, dass nur die Frauen für den Haushalt zuständig waren?“ Da kann man ihnen nicht wiedersprechen und überhaupt lockt die Linsensuppe mit ihrem aromatischen Geruch. Nachdem der erste Hunger gestillt ist, nehmen wir unser Gespräch wieder auf und fragen, ob es nicht schwierig sei, den ganzen Tag auf nicht nur auf Essen, sondern auch auf jedes Getränk verzichten zu müssen.
„Die ersten beiden Tage sind immer sehr hart“, erzählt Arzu, die in einer deutschen Großbank arbeitet, „in der Regel esse ich ja mittags gemeinsam mit Kollegen, aber während des Ramadan verkürze ich meine Mittagspause und kann dafür etwas früher Feierabend machen. Das Schöne am Ramadan ist“, fährt sie fort, „dass wir zu dieser Zeit alle gemeinsam als Familie zu Abend essen. Im Alltag schaffen wir das oft nicht, weil jeder andere Verpflichtungen hat. In diesem Jahr machen wir es so, dass wir jeden Abend gemeinsam hier im Vereinsheim essen. Reihum bewirtet jeden Abend eine andere Familie alle, die sich vorher zum gemeinsamen Essen angemeldet haben.“

Heimat mal zwei

Während Tabletts mit gefüllten Weinblättern, Reis, gemischtem Salat und Hühnchen herumgereicht werden, wollen wir wissen, wie es denn ist, wenn man in zwei und dazu sehr unterschiedlichen Ländern zu Hause ist. „Schauen Sie“, erklärt uns Sebnem, „wir Türken unterscheiden uns je nach Region wie zum Beispiel die Norddeutschen von den Bayern. Meine Eltern zum Beispiel stammen von der Schwarzmeerküste. Natürlich unterscheiden wir uns von unseren Landsleuten, die aus Anatolien, aus der Zentraltürkei oder von der Mittelmeerküste stammen. Als meine Eltern nach Deutschland kamen hatten sie das große Glück in einem Haus zu wohnen, in dem mehrere ältere Damen sich ihrer angenommen haben und ihnen sehr viel über Deutschland, seine Sitten und seine Sprache erklärt haben. Als wir Kinder waren haben sie für uns zu Ostern Eiern versteckt und zu Nikolaus die Stiefel gefüllt. Auf diese Weise haben wir, glaube ich, von beiden Kulturen jeweils die besten Seiten kennengelernt. Natürlich fahre ich in den Ferien gern in die Heimat meiner Eltern, schließlich wohnen dort auch noch viele von unseren Verwandten und somit ist es auch immer wie nach Hause kommen. Andererseits bin ich in Deutschland groß geworden, lebe und arbeite hier und habe hier natürlich auch viele Freunde.“

Ganz anders ähnlich

Und dann beginne ich zu erzählen: Von den Eltern, die auch nach Jahrzehnten im Rheinland, wenn sie von Heimat sprachen, einen Ort weit hinter der deutsch-deutschen Grenze meinten, von den Großeltern, die man nur in den Ferien besuchen konnte und schon bald merken wir, auch wenn wir aus verschiedenen Kulturen stammen und anderen Religionen angehören, so groß sind die Unterschiede nicht. Um aus Fremden Nachbarn werden zu lassen, bedarf es oft nicht viel: Nur ein wenig Initiative, eine Einladung und der Mut, diese anzunehmen.

Ein langer Abend neigt sich dem Ende zu, gemeinsam trinken wir noch ein Tässchen türkischen Tee und dann wird es Zeit für den Aufbruch. Wir wären gerne noch geblieben, aber Aufbruch muss ja nicht Abschied heißen, vielleicht werden wir uns wiedersehen, denn sicher hätten wir uns noch viel zu erzählen.



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